Schottisches Nachtblauchen

von JordanCalaim

Disclaimer: Der Großteil gehört nach wie vor Frau Rowling, einige Details stammen von mir.
Rating: ab ca. 12
Warnung: Kein Happy End!
Anmerkung: Nachtblauchen setzt sich aus ‚Nacht‘, der Farbe ‚Blau‘ und der Verniedlichung ‚chen‘ zusammen. Es beschreibt einen dichten, dornigen Busch mit kleinen hellblauen Blüten, die sich allerdings nur nachts öffnen. Anzufinden ist er meist in den Wäldern Schottlands.


„Reservat für Seltene Magische Pflanzen. Eingangshalle!“
Kaum hatte Neville die Worte ausgesprochen, wurde er auch schon In den Kamin gezogen. Er mochte diese Form des Reisens nicht sonderlich. Doch er war erst 15 und konnte demnach noch nicht apparieren. Aber zum Glück war der zweite Kamin schnell erreicht. Hustend und reichlich mit Asche bedeckt trat er in die Eingangshalle des Hotels. Es hatte lange gedauert, seine Oma zu diesem Ausflug zu überreden. Immerhin war der Ausflug auch nicht gerade günstig.
Neville griff seinen Koffer und ging zur Rezeption. Zumindest wollte er das. Denn der Kamin stand auf einem kleinen Podest und Neville hatte anstatt der Treppe den direkten Weg gewählt. Vor Schreck stieß er einen Schrei aus und versuchte noch das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Doch es war zu spät. Mit einem Sturz, den man sich besser nicht wünschen kann, flog er nieder.

Der Kamin ist in die Wand eingelassen und von dort führen zwei Treppenstufen herunter. Neville liegt längst davor auf dem Boden.
Bild von d.ela (Ravenclaw)

„Nicht schon wieder“, schoss es ihm durch den Kopf. ‚Zumindest ist nichts weiter passiert …‘
Geräuschvoll landete sein Koffer neben ihm und fing an über den Boden zu schlittern. Neville wurde übel, denn durch einen Zauber seiner Großmutter reichte bereits ein kleiner Stoß, um den riesigen Koffer in Bewegung zu setzen. Dieser bewegte sich nun in rascher Geschwindigkeit auf einen Zauberer im Reiseumhang zu.
„VORSICHT!“
Nevilles Warnung kam zu spät. Der Koffer hatte den Zauberer erfasst und von den Beinen gehauen. Gepäck, das anscheinend magisch transportiert wurde, fiel durcheinander. Zu allem Überfluss hörte Neville das unheilvolle Zerbrechen von Glas. Der Junge überlegte sich, ob er sich nicht unbeobachtet verstecken könnte. Immerhin war alle Aufmerksamkeit auf den unglückseligen Zauberer gerichtet. So blickte er sich um und begann, sich leise und möglichst unauffällig zu einem Ausgang zu bewegen.
„Neville Longbottom! Was hast du wieder angerichtet!“ Die ermahnende Stimme seiner Großtante war in der gesamten Halle gut zu hören. „Nun geh und hilf wenigstens!“
Nun konnte er es gänzlich vergessen. Es blieb ihm keine Wahl.
Langsam näherte er sich dem Zentrum dessen, was er angerichtet hatte. Zwar war er dank der Übungen in Dumbledores Armee selbstbewusster geworden und auch in dem Kampf im Ministerium hatte er sich gut geschlagen, jedoch war noch kein Kraut gegen seine Ungeschicklichkeit gewachsen. Als er schließlich, nach langem Herauszögern, bei dem wütenden Zauberer angelangt war, hatte dieser sich bereits aufgerappelt.
„Ent-entschuldigen Sie“, sprach Neville in das wütende Gemurmel.
Neville hätte mit vielem gerechnet. Doch als sich der Zauberer gänzlich zu ihm gedreht hatte, gefror ihm das Blut in den Adern. Nach und nach zeigte das Profil ihm ein altbekanntes, doch mindestens genauso verhasstes Gesicht. Die Kapuze des Reisemantels war verrutscht und schwarzes Haar fiel strähnig in das Gesicht. Professor Severus Snape starrte ihn erstaunt und wütend an.
„Ich nehme an, ich habe Ihnen das hier zu verdanken?“
Der Professor hielt eine Zerbrochene Phiole in der Hand, an deren Scherben sich noch ein Paar tropfen gehalten hatten.
„Ich … ich …“, stammelte Neville.
„Ich will kein Wort von Ihnen hören, Mr. Longbottom“, begann Snape, „haben Sie auch nur die leiseste Ahnung, wie viel Arbeit Sie mal eben wieder zunichte gemacht haben? Glauben Sie, es reicht nicht, dass Ihre Unfähigkeit in Hogwarts unter Beweis stellen?“
„Nun lassen sie den armen Jungen in Ruhe!“, polterte Nevilles Oma dazwischen. „Es war doch keine Absicht. Wenn Sie möchten, hilft er Ihnen gern den Trank erneut zu brauen, nicht wahr, Neville?“
„Vielen Dank. Aber ohne diese Hilfe komme ich wesentlich besser voran.“
Neville war froh, dass der Lehrer seinen Zauberstab schwang und, verfolgt von seinem schwebenden Gepäck, die Szene verließ.
Das hatte ihm wirklich noch gefehlt. Neville wusste schon nicht mehr, wie lang er auf diesen Ausflug gespart hatte. Diese große Ansammlung verschiedener magischer und nicht magischer Pflanzen wollte er schon seit Jahren sehen. Doch dank Snape, konnte er seinen Traum von den Ferien wohl wieder vergessen.
Am Abend war Neville mehr als deprimiert. Eigentlich hatte er gleich wieder umkehren wollen, doch seine Großmutter hatte sich durchgesetzt. Nun hatte Neville den Plan gefasst, einfach die ganze Zeit in den winzigen Zimmern zu bleiben, die sie gebucht hatten.
„Nun komm schon raus. Ich bin mir sicher, dein Professor ist dir nicht mehr böse“, versuchte ihn seine Großmutter aufzumuntern.
„Ich kann nicht. Er wird es mir ewig nachtragen.“
„Bestimmt nicht. Aber weißt du was?“, scheinbar hatte seine Großmutter beschlossen ihn auf eine andere Art und Weise aus seinem Kaninchenbau zu locken, „Ich sehe mir jetzt diese komische Blume an, die so selten blüht. Ich fände es schön, wenn du mir etwas dazu sagen könntest, ich vergesse doch so vieles.“
Auch wenn Neville nicht wusste warum, es funktionierte. Er hatte sich seit Monaten gefreut, diese Pflanzen zu sehen.
Und wer weiß, vielleicht war Snape ja irgendwo anders?

Neville betrat das Gewächshaus. Er hatte sich schon immer mit der Natur und vor allem mit den Pflanzen verbunden gefühlt. Hier, so hofft er, würde er etwas Ablenkung finden.
Es half tatsächlich. Langsam trat er von einem Gewächs zum nächsten, las sich die Schilder durch oder bewunderte die Blütenpracht.
„Dieses Exemplar ist wirklich schön.“
Neville schrak hoch. Neben ihm stand ein zierliches Mädchen, das etwa in seinem Alter sein musste. Eine Haarsträhne lugte unter der Mütze hervor, die sie trug. Neville merkte, wie er nervös wurde.
„Ja … ähm … das ist ein sehr … schönes Exemplar.“
„Ich bin Cythere“, stellte sich das Mädchen vor.
„Oh. Ich bin Neville“, stellte auch Neville sich vor. Hastig schob er nach: „Schön, dich zu treffen“
So fingen die beiden ein Gespräch an. Nach und nach legte sich die Nervosität und die beiden lachten und neckten sich.
Sie betraten gerade den Bereich der Nachtgewächse, als sich das änderte. Denn etwas weiter hinten im Gang sah Neville bereits den prägnanten Haarschopf seines Zaubertrank-Professors. Sogleich sackte ihm das Herz in die Hose. Denn auf der einen Seite wollte er sich auf jeden Fall das Schottische Nachtblauchen ansehen. Eine Pflanze die nur zu bestimmten Zeiten blühte und sehr rar ist. Auf der anderen Seite wollte er nicht Snape in die Arme laufen, der nach dem Zwischenfall in der Eingangshalle ganz sicher noch immer nicht gut auf ihn zu sprechen war. Darüber hinaus war da noch Cythere, vor der es das Gesicht zu wahren galt. Also atmete Neville einmal tief ein, lächelte Cythere an, oder versuchte es zumindest, und ging auf Snape zu.
Dieser war komplett in das vertieft, was er tat. Neville wusste zwar nicht, was das war, hatte aber auch nicht wirklich Interesse daran, es herauszufinden. Stattdessen begnügte er sich damit, die Pflanzen auf der anderen Seite des Weges genau zu betrachten.
Da hörte er Cytheres Stimme. „Oh, guten Abend, Professor Snape. Ich wusste gar nicht, dass Sie auch hier sind.“
„Ich bin vor allen Dingen sehr beschäftigt“, sagte der Professor misslaunig und überrascht, dass es jemand wagte, ihn anzusprechen.
Auch Neville hatte nicht damit gerechnet. Schnell ging er noch einmal die Parallelklassen von Hogwarts durch. Nein, eine Cythere war nicht dabei.
„Wir, also mein Vater und ich, freuen uns bereits auf Ihren Vortrag. Vielleicht kennen Sie ihn ja. Also meinen Vater, nicht Ihren Vortrag. Denn den …“
„AU!“, fuhr Snape hoch. Er zückte ein Tuch und legte es sich auf kleine Schnittwunde an der Hand. „Kann man denn nicht einmal in Ruhe arbeiten“, sagte er eher zu sich.
Neville wusste, dass sie lieber verschwinden sollten. Doch noch bevor er Cythere hätte warnen können, redete sie schon weiter.
„Das tut mir leid. Ich hoffe, die Verletzung ist nicht schwerwiegend. Auf der Krankenstation gibt es gewiss etwas Hilfreiches.“
„Das einzige, was hilfreich WÄRE, wäre in Ruhe arbeiten zu können.“
„Es war bestimmt keine Absicht“, mischte sich Neville ein. Doch er bereute es im nächsten Augenblick auch schon, denn prompt richtete Snape seine ihm ins Gesicht stehenden Wut auf ihn.
„Das hätte ich mir denken können, dass Sie nicht weit sind.“
Neville sagte nichts mehr, sondern starrte verlegen zu Boden. So hörte er nur noch, wie Snapes Umhang im Gehen raschelte. Einige Sekunden entfernte sich das Geräusch, dann knarzte eine Tür und es war ruhig.
„Er kann einem richtig leidtun.“
„Leidtun?“, fragte Neville ungläubig. „Er soll einem leidtun? Warst du eben nicht da?“
„Doch, doch.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber weißt du? Er versucht schon seit Jahren, seinen Wolfsbanntrank auf der Internationalen Vereinigung der Zaubertrankbraumeister vorzustellen. Und nun, wo es ihm genehmigt worden ist, ist seine Probe bei der Ankunft vernichtet worden.“
Jetzt wurde Neville schlecht. Der Vorfall am Vormittag, vor allem das Geräusch des zerbrechenden Glases, kam ihm wieder in den Sinn.
„Trotzdem“, sagte er halbherzig und auch mehr, um sich selbst zu überzeugen, „in der Schule ist er auch nicht besser.“
„Du bist in Hogwarts?“, Cytheres Augen strahlten erwartungsvoll.
„Ja. Und Snape … also Professor Snape … ist eindeutig einer der unbeliebtesten Lehrer.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Aber er ist ein Meister seines Faches. Aber erzähl mir mehr von Hogwarts.“
Neville erzählte. Von Hogwarts, vom Unterricht, von Professor Umbridge, die im letzten Schuljahr die Schülerschaft tyrannisiert hatte und auch von Dumbledores Armee. Doch es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, was sie über Snape gesagt hatte. Sein Gewissen ließ ihm einfach keine Ruhe.

Selbst als er in sein Hotelzimmer zurückkam, wo er wegen seiner Verspätung erst einmal eine Standpauke bekam, fand er keine Ruhe. Ein Teil von ihm, der eindeutig sehr klein und nicht zum logischen Denken in der Lage war, wollte sich entschuldigen. Dass das niemals klappen würde, war ihm klar. Allein schon vor dem Professor irgendein Wort über die Lippen zu bringen, erschien ihm als unlösbare Aufgabenstellung. Er würde sich morgen wohl nochmal anschauen, was genau Snape dort wollte.
Ein anderer, wesentlich größerer und vordergründigerer Teil wurde nicht müde, Neville einen Narren zu schelten. WARUM hatte er vergessen, dass diese Woche diese komische Konferenz stattfand?
Doch irgendwann fand er doch noch etwas Schlaf. Er träumte von Kesseln, in denen die Klasse etwas brauen musste. Und jedes Mal, wenn Neville einen Fehler gemacht hatte, wurde er gefressen.

Am folgenden Morgen fühlte er sich noch erschöpfter als zuvor. Seine Oma hatte beschlossen, sich die Stadt anzuschauen. Neville wusste, dass sie noch wegen gestern Abend böse war, aber ihm war es recht. Nach und nach erwachten seine Lebensgeister. Gegen Mittag beschloss er, noch einmal ins Gewächshaus zu gehen. Selbstverständlich hatte er sicher gestellt, dass Snape in einer Besprechung saß und ihm nicht wieder über den Weg laufen würde. Leider hieß es auch, dass er Cythere nicht noch einmal sehen würde. Denn diese war bei ihrem Vater. Sie schien das Einzige zu sein, was diesen Urlaub noch erträglich wirken ließ.
So träumte Neville vor sich hin, dass er sich zuerst verlief und dann am Ziel vorbeilief. Doch irgendwann kam auch er beim Standort des Schottischen Nachtblauchens an. Da er bisher noch nie eines dieser Gewächse gesehen hatte, schaute er sich die zarten blassblauen Blüten an. Momentan waren sie geschlossen, doch später am Abend würden sie ihre ganze Pracht entfalten. Und nur dann konnten sie, so wusste es Neville, auch geerntet werden. Aber es musste etwas damit auf sich haben. Leider gab auch das Schildchen nicht mehr Informationen als die, die Neville schon hatte. Er beschloss den Lesesaal der Bibliothek zu betreten. Da dieser derzeit noch vom Kongress genutzt wurde, ging Neville erst einmal in sein Zimmer, um ein Nickerchen zu machen.

Nach ein paar sehr verwirrenden Träumen und einem kleinen Mittagessen stand Neville nun in dem Lesesaal. Wobei der Ausdruck Bibliothek sicherlich auch wunderbar gepasst hätte. Die Wände waren bedeckt mit Bücherregalen. Zwar reichte es nicht an die Größe der Bibliothek von Hogwarts. Aber Neville war sich sicher, dass nirgendwo sonst auf der Welt mehr Wissen über magische Pflanzen zentriert war als hier. Schnell fand er die Abteilung für Nachtblüher. Aber er tat sich schwer, mehr herauszubekommen, als das, was er wusste.
„ ‚Blühten bey Nacht.‘ Du musst wirklich verzweifelt sein“, stellte eine Stimme hinter ihm fest.
Neville drehte sich um und sah Cythere. Sofort waren alle Sorgen vergessen.
„Oh ja“, gab er zu. „Ich wusste gar nicht, wie schlecht ein Buch sein kann.“ Und damit hatte er Recht. Denn er hatte sich zuvor mehr als 20 Minuten durch ein Inhaltsverzeichnis gequält, dass nicht alphabetisch war, sondern in der Reihenfolge, in der der Autor die Blumen gesehen hat. Und der Inhalt selbst war eher zweifelhafter Natur und ließ erkennen, dass besagter Schriftsteller bekanntermaßen weder der Nacht noch dem Butterbier abgeneigt gewesen war.
„Ich finde einfach keine brauchbaren Informationen.“ Neville war genervt von der erfolglosen Suche.
„Dann frag doch mich!“ Cythere setzte sich direkt neben Neville.
„Nichts gegen dich, aber ich glaube eher weniger, dass du viel über das Schottische Nachtblauchen weißt.“
Cythere lächelte selbstsicher.
„Das Schottische Nachtblauchen ist bekannt für seine kurze Blütezeit. Aus alten, aber nicht bestätigten Überlieferungen geht hervor, dass sie die Brauzeit eines Trankes drastisch reduzieren, ohne die Wirkung zu beeinträchtigen.“
„Also wollte Sn … Professor Snape seinen Trank ein zweites Mal brauen“, schlussfolgerte Neville.
„Genau. Leider geht das nicht mehr.“
„Warum?“
„Das Schottische Nachtblauchen ist nur wirksam, wenn man es in Blüte pflückt.“
Neville verstand nicht, worauf Cythere hinaus wollte. „Warum versucht er es heute Abend nicht noch einmal?“
„Weil er seine Chance verwirkt hat“, sagte Cythere und als Neville sie immer noch fragend ansah erklärte sie weiter: „Es gibt laut den Überlieferungen nur eine Chance, die Blüte wirksam zu pflücken. Wenn man es aber nicht schafft und sich beispielsweise an einem der Dornen verletzt, wird sie wirkungslos. Würde Professor Snape also die Blüte pflücken, hätte sie keinen Effekt auf seinen Trank. Ich habe mich vor 3 Jahren an derselben Staude geschnitten, also kann ich nicht helfen.“
„Klingt sehr kompliziert.“
„Das Problem ist, dass in keiner Überlieferung erwähnt wird, wie man vorgeht. Ich denke, die Leute, die es gewusst haben, haben es für sich behalten.“
„Klingt logisch. Aber sag mal, Cyth. Woher weißt du das alles?“, fragte Neville erstaunt, der mehr und mehr von seiner Begleiterin begeistert war.
„Naja. Ich begleite meinen Vater seit mittlerweile zehn Jahren auf solche Kongresse. Da lernt man nun einmal ein wenig.“
Beide lachten.

Neville verbrachte mit Cythere einen wundervollen Nachmittag. Da die Blume erst in der Dämmerung blühen würde und sie nicht einmal wussten, wie sie genau vorgehen sollten, beschlossen sie, dass die Zeit in einer Eisdiele besser genutzt war. Cythere hatte viel über die Kongresse und ihren Unterricht zu Hause erzählt. Da Ihr Vater ein Meister der Zaubertränke war, war sie Neville in dem Gebiet weit voraus. Wozu nach Nevilles Meinung aber auch nicht viel nötig war.
Doch der Abend rückte näher und Neville wurde nervös. Zwar war Kräuterkunde sein beliebtestes und auch bestes Fach in Hogwarts. Alles dies half aber nichts, wenn man nicht wusste, wie man am besten vorgeht. Und auch wenn es nicht laut gesagt worden war, so war es dennoch klar, dass es an ihm war, diese Pflanze zu bändigen. Sie hatten alles vorbereitet. Eigentlich brauchte man eine Genehmigung für diesen Versuch, doch wer würde schon zwei fünfzehn Jahre alten Teenagern gestatten, sich einer seltenen, gefährlichen Pflanze zu nähern?
„Ich kann das nicht“, stellte Neville fest, als er im Gang der Nachtblüher stand.
„Iwo. Man kann eigentlich nicht viel falsch machen. Pass nur auf, dass du nicht geschnitten wirst, denn das tut ein wenig weh.“ Neville hätte am liebsten laut aufgelacht, denn genau darin lag das Problem. Tatsächlich wurden bisweilen schon so viele Zauberer verletzt, dass man inzwischen eine Salbe entwickelt hat, um die Verletzung zu heilen.
Er kniete sich davor. In der rechten Hand hielt er eine kleine Schere. Mit der Linken versuchte er die Äste zur Seite zu biegen.
„Warum habe ich nur keine Schutzhandschuhe an?“, dachte er sich zähneknirschend. Doch jetzt einen Rückzieher zu machen, war außer Frage.
Langsam tastete er sich voran, bemüht tief durchzuatmen und sich nichts anmerken zu lassen.

Queer über das Bild geht eine  braune Ranke mit dicken roten Dornen. Dahinter sieht man große, grüne Blätter zwischen denen sich dünnere, weiße Ranken, ebenfalls mit spitzen roten Dornen versehen, hervorschlängeln. Zwischen den weißen Ranken liegen zwei hellblaue Blüten, von denen eine bereits geöffnet, die andere noch geschlossen ist.
Bild von jerome bennings (Ravenclaw)

Da sah er auch schon den Hauptstiel. Die Dornen waren dunkelrot und hoben sich gut vom Rest der Pflanze ab. Eigentlich sah alles ganz gut aus. Bis Neville einen beißenden Schmerz im linken Arm spürte. Er brauchte nicht hinzusehen, denn er wusste, dass er sich geschnitten hatte. Panik durchfuhr ihr. Die Blüte begann sich zu schließen. Es schien, als wäre alles umsonst gewesen. Doch Neville hoffte, dass das nicht alles war. Es konnte, nein, durfte nicht alles umsonst gewesen sein.
Instinktiv dachte er an die Nacht im Ministerium. Auch Dumbledores Armee war nicht umsonst gewesen. Neville spürte eine verzweifelte Wut in sich. Wie sollte er im nächsten Jahr Snape gegenübertreten? Immerhin war es seine Schuld, dass der Trank vernichtet war.
Schnell und ohne auf die Dornen zu achten, griff er nach dem Stängel. Mit einem Blick nach oben vergewisserte er sich, dass sich die Blüte noch nicht vollständig geschlossen hatte. Der erste Schnitt ging daneben und auch der zweite Versuch schlug fehl. Doch letztendlich schaffte Neville es, die Blüte abzutrennen und aus dem Busch zu ziehen.
Er stand auf und taumelte zur anderen Seite, wo er sich kurz setzte. Seine Arme waren über und über mit mehr oder weniger tiefen Kratzern übersät. Cythere stand neben ihm. Ihr Gesicht verriet, dass sie selbst kaum glaubte, was geschehen war. Schnell fing sie sich wieder und begann in ihrer Tasche zu kramen. Neville hätte am liebsten geschrien, aber da sie verbotenerweise hier waren, wagte er nicht den kleinsten Laut von sich zu geben.
Glücklicherweise hatte Cythere schnell gefunden, was sie gesucht hatte. Die Salbe roch nach starken Gewürzen und linderte schnell die Schmerzen. Gemeinsam machten sie sich daran, den zweiten Teil des Plans umzusetzen. Leider hatten sie beide nicht wirklich mit einem Erfolg gerechnet, nur dass sie vorhatten, das Gewächs irgendwie zu Snape zu bringen. Wie das geschehen sollte, wussten sie nicht so genau.
„Wir könnten es ihm vor die Tür legen und Klopfen“, meinte Neville.
„Damit er es für Unkraut hält und wegwirft?“
„Naja, er wird doch wohl sehen, was das ist, oder?“
„Da bin ich mir nicht so sicher …“, gestand Cythere “schau!“
Was Neville dann sah, überraschte auch ihn. Die blassblaue Farbe war verschwunden und ein dunkles Grün an die Stelle getreten.
„Das habe ich noch nie gesehen, du, Neville?“
Dieser konnte nur den Kopf schütteln. Sie überlegten sich immer waghalsigere Theorien und hatten irgendwann einen Plan entworfen, über einen Baum in Snapes Zimmer einzubrechen. Aber da sie weder einen Baum an der passenden Stelle noch Interesse an einer direkten Auseinandersetzung hatten, verwarfen sie auch diese. Bis Cythere eine einfache, aber brillante Idee hatte.
„Wir schicken sie ihm.“
„Wie meinst du das?“
„Wir gehen zu mir, tun das Nachtblauchen in einen Umschlag und schicken meine Eule damit los.“
Neville war fassungslos. Zwar zweifelte er, dass dieser simple Plan wirklich die Lösung gewesen sein sollte, aber da er selbst keine anderen Vorschläge mehr hatte, stimmte er zu.

Eine kleine, braune Eule fliegt durch die Luft und hält dabei einen Brief in ihrem Schnabel fest.
Bild von d.ela (Ravenclaw)

Wenige Minuten später sahen sie Cytheres Eule hinterher, die zwar müde und missmutig gestimmt war, aber doch zuverlässig erschien. Tatsächlich erwies sich der kleine Vogel als überaus nützlich für diesen Dienst.
Was Neville allerdings nicht wusste: Cythere hatte alles im Vornherein mit Snape, den sie schon seit einigen Jahren kannte, abgesprochen. Auch hatten sie eine Genehmigung zum Schneiden der Pflanze. Snape konnte seinen Wolfsbanntrank fertigstellen und präsentieren. Im Gegenzug verbrachte Cythere ihre Zeit ungestört von ihrem Vater mit Neville. Auch wenn diese Zeit schnell verging, kamen sich die beiden rasch näher.
Bis dann der Abschied anstand. Neville trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Er wollte nicht weg, doch konnte er auch nicht bleiben. Cythere kam auf ihn zu. Sie lächelte verlegen, wie sie es seit kurzem öfters tat.
„Dann heißt es jetzt Leb wohl?“
„Ich weiß nicht“, versuchte Neville den Abschied hinauszuzögern, „ich meine, wir können uns doch auch noch schreiben, oder?“
Cythere zuckte mit den Schultern: „Schon. Aber wir werden uns sicherlich für eine sehr lange Zeit nicht sehen.“
„Und wie wäre es mit ‚Auf Wiedersehen‘?“
Cythere biss sich kurz auf die Unterlippe und sah ihn einen Augenblick nachdenklich an.
„Ok, Neville“, sagte sie, nickte, machte einen Schritt nach vorn und küsste ihn. „Auf Wiedersehen!“
Ehe Neville etwas erwidern konnte, ging sie in den nächsten Kamin, flüsterte ihren Zielort und verschwand.

Epilog

Cythere verschwand unter der zweiten Schreckensherrschaft Voldemorts und blieb trotz intensiver Suche unauffindbar. Ihr zu Ehren wurde in Hogwarts ein Busch Schottischen Nachtblauchens angepflanzt.
Sie und Neville haben sich nie wieder gesehen.